FOR-DEC

Buridians Esel und die Möglichkeiten von Entscheidungs-Coachings

Das oder das oder doch etwas ganz anderes?

Es war einmal ein durstiger, hungriger Esel, der genau in der Mitte zwischen einem Eimer Wasser und einem Heuhaufen stand und verzweifelt den Kopf hin und her schwenkte. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er zuerst fressen oder trinken sollte. Schließlich starb das Tier - an Hunger und Durst!

Dieses Gleichnis wird dem gelehrten Jean Buridian zugeschrieben, der um 1300 geboren wurde. Wahrscheinlich ist es sogar noch viel älter und geht auf den Philosophen Al-Ghazali zurück. Das heißt das Motiv, sich nicht entscheiden zu können, scheint so alt wie die Menschheit. Die Situation des Esels können wir alle sicher gut nachempfinden. Je länger wir in einer als Dilemma empfundenen Situation nachdenken, desto klarer wird, dass sich die Argumente für und wider die Waage halten. Daraus resultiert häufig die Angst zum Falschen ja oder nein zu sagen. Mein alter Herr pflegte zu sagen, dass das Leben in der Form unendlich vieler Möglichkeiten auf uns einprasselt, die wir ganz sicher auch immer erkennen, sobald wir sie vertan haben!

Im Prinzip muss man das Gleichnis von Buridians Esel so lesen, als dass nicht die Entscheidung an sich uns verzweifeln lässt, sondern das Sich-Nicht-Entscheiden-Können uns immer tiefer in die Verzweiflung treibt. Dabei geht es in unserer ausgesprochen dynamischen und komplexen Welt nicht primär darum sich richtig zu entscheiden, sondern vielmehr darum sich überhaupt zu entscheiden. Nicht selten ist die einzig wirklich falsche Entscheidung die Entscheidung, die nicht getroffen wird, beruflich wie privat. Die Welt dreht sich stetig und gnadenlos weiter und wir Menschen sind gut beraten hier flexibel mitzugehen, damit sie uns nicht überrollt.

Entscheidungs-Coachings als Element im Business-Coaching

In meiner Rolle als Coach kenne ich diese Entscheidungsdilemmata nicht nur aus dem eigenen Erleben, sondern auch immer und immer wieder aus dem Erleben meiner Kundinnen und Kunden. Und wer soll es ihnen verdenken. Es ist nicht einfach in dieser verrückten Welt, in der gefühlt alle auf einen schauen, man glaubt omnipräsent zu sein und manchmal denkt, dass alle anderen nur darauf warten, dass man selbst einen Fehler macht. Gefühle von Angst und Lähmung sind hier nur zu verständlich. Wie gehe ich als Coach mit dieser Gemengelage um? Wie unterstütze ich meine Coachees dabei, eine für sie passende Entscheidung zu treffen und diese auch umzusetzen? Im Prinzip habe ich hierfür zwei Lieblingsmodell, mit denen ich arbeite. -Was nicht heißt, dass andere Modell schlechter sind! Meine beiden Liebsten möchte ich euch heute gerne vorstellen. Eines als Hilfe zur Selbsthilfe und eines um euch ein Modell vorzustellen, mit den ihr im Rahmen einer Coaching-Session gemeinsam mit einem systemischen Coach arbeiten könnt.

Analytische Entscheidungsfindung mit dem FOR-DEC-Modell

Das erste Modell, das ich auch in Coachings gerne nutze, verfolgt mich bereits seit fast 25 Jahren, da es seinen Ursprung in der Luftfahrt hat und Piloten, bzw. Crews dabei unterstützen soll, analytische Entscheidungen auch unter großem Stress und Ungewissheit zu treffen. Wahrscheinlich hat es auch den inzwischen berühmten Sully Sullenberger dabei unterstützt, seinerzeit die Blitzentscheidung auf dem Hudson zu landen, zu treffen. Es ist ebenso simpel wie effektiv und ihr seid herzlich eingeladen, es für euch zu nutzen.

Bei FOR-DEC handelt es sich um ein Akronym aus den Worten “Befor Decision” und soll Menschen in unklaren Situationen helfen, eine schnelle und analytische Entscheidung zu treffen. Im Prinzip ist es wie eine Check-Liste, die sequenziell abgearbeitet wird. Dabei stehen die sechs Buchstaben für folgende Schritte:

  1. F für Facts: Man beginnt mit einer Faktensammlung. Welche Informationen habe ich? Wichtig ist in diesem Schritt eine bewusste Unterscheidung von Fakten und Annahmen zu vollziehen.

  2. O für Options: Welche möglichen Optionen habe ich? Hierbei ist es erfahrungsgemäß ausgesprochen hilfreich nicht nach der zweiten möglichen Option aufzuhören. In vielen Situationen, die wir als Entweder-Oder erleben, gibt es zumeist noch mehr Möglichkeiten, die es zu betrachten gilt. Dabei ist selbstverständlich auch die Frage, was ich überhaupt erreichen möchte, wichtig.

  3. R für Risks & Benefits: Wie sind die einzelnen Optionen mit Blick auf Für und Wider einzuwerten?

  4. D für Decision: Dann muss entschieden werden. Diesen Punkt kann man sich auch im Rahmen des FOR-DEC-Modells nicht ersparen.

  5. E für Execution: Wie genau setze ich die Entscheidung um? Welche konkreten Schritt müssen wann von wem gegangen werden? Was ist mein Anteil?

  6. C für Check: An einem bestimmten Punkt (und dieser kommt in der Luftfahrt zumeist deutlich schneller als in meinen üblichen Business-Coaching-Kontexten) muss ich überprüfen, ob meine Entscheidung zum gewünschten Erfolg geführt hat. Dazu muss ich natürlich auch meine eigenen Erfolgskriterien kennen. Passt alles, fein, passt es nicht, zurück auf Anfang, denn dann habe ich nicht alle Fakten berücksichtigt… So kann ich mit FOR-DEC zu mindestens ein Stück weit die Angst vor sogenannten falschen Entscheidungen nehmen. Im Prinzip ist es ein Kreislauf, der der Dynamik des Umfelds gut Rechnung tragen kann.

Mit meinen Coachees arbeite ich in der ersten Session zumeist an den Punkten 1. bis 5. und für den Check vereinbaren wir, so gewünscht einen weiteren Termin. - Oder sie bekommen, so wie ihr, eine kleine Anleitung und dürfen selbst aktiv werden.

Das Tetralemma - Entweder, oder, sowohl, als auch oder doch ganz anders

Die zweite Methode, die ich im Rahmen von Entscheidungs-Coachings ausgesprochen gerne nutze, ist das sogenannte Tetralemma nach Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd, die ein Schema aus der indischen Logik genutzt haben, um daraus eine systemsiche Strukturaufstellung zu entwickeln. Wie die Bezeichnung Strukturaufstellung vermuten lässt, handelt es sich um eine Form der gemeinsamen Arbeit, in der der Raum genutzt wird. Das heißt jede der fünf Positionen bekommt einen Platz im Raum zugeordnet, die der Coachee nacheinander abschreitet. Dazwischen geht es physisch und gedanklich immer wieder zurück auf eine Metaposition, die meinen Coachees die Möglichkeit gibt, sich selbst von außen zu betrachten.

Ziel des Tetralemmas ist es, den Entscheidungs- und Handlungsraum innerhalb eines sogenannten Dilemmas zu erweitern. Ausgegangen wird von zwei Optionen: “Das eine” und “das andere” die direkt auch die ersten beiden Optionen im Tetralemma darstellen. Die dritte Position ist “Beides” was integratives Denken und eine Kompromissbereitschaft in Betracht ziehen soll. Die vierte Position ist eine Art paradoxe Position, die dazu dient, die Absolutheit von “entweder-oder” abzuschwächen und die “keins von beidem” genannt wird. Die fünfte Position führt sogar noch über die vierte Position hinaus und stellt eine Form der reflexiven Musterunterbrechung dar. Sie nennt sich “alles dies nicht und selbst das nicht”. Sie ermöglicht es den Coachees sich von den vorherigen Punkten zu lösen und somit auch die als Dilemma empfundene ursprüngliche Fragestellung hinter sich zu lassen.

Für einen kompletten Prozess plane ich für gewöhnlich nicht mit einer bei mir üblichen 60-minütigen Coaching-Session, sondern mit 90 Minuten. Während dieser Zeit beobachte ich immer wieder, wie meine Coachees ihren Entscheidungs- und somit auch Einflusshorizont stetig erweitern und nicht selten erlebe ich, dass die Entscheidung, die meine Coachees im Anschluss treffen, jenseits von “entweder-oder” liegen

Zurück zum Esel…

Tja, hätte Buridians Eseln nur einen Coach gehabt… Gestorben wäre er sicher nicht. Vielleicht denkt ihr ja an das arme Eselchen, wenn ihr das nächste Mal glaubt, euch in einem Entweder-Oder-Dilemma zu befinden und vielleicht könnt ihr euch dann sogar mit den FOR-DEC-Modell wunderbar selbst helfen, oder ihr meldet euch und bucht ein Entscheidungs-Coaching bei mir. Das Tetralemma ist eine ausgesprochen ganzheitliche und effektive Methode, die deutlich effektiver und klarer wirkt, wenn sie von einem erfahrenen systemsichen Coach begleitet wird. Auch ich coache mich in einem solchen Kontext nicht selbst, sondern wende mich vertrauensvoll an eine Kollegin oder einen Kollegen und lasse mich kompetent begleiten.

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag. Mein gerade zu klärendes Dilemma ist, ob ich erst bügeln oder erst ein wenig auf der Coach liegen möchte… Ich denke, das schaffe ich ohne Coach!

Eure Constance

So oder besser so oder besser doch so

Gefangen im Entscheidungsdilemma

Ist ja alles schön und gut mit diesem Team-Gedöns, aber...

Aus der beliebten Rubrik: Alltag eines Agile Coaches

Nachdem ich in meinen wöchentlichen Blog-Artikeln ja häufig von der Theorie berichte, mit der ich mich gerade beschäftige, ist es heute mal wieder an der Zeit, ein wenig aus der Praxis und den damit verbundenen Grenzen der Theorie zu erzählen.

Als Agile Coach begleite ich Menschen durch den Transformationsprozess ihrer Organisation, weg von den klassischen Top-Down-Management-Strukturen hin zu Unternehmensstrukturen, die ihren Menschen, ihrem Humanvermögen, Raum geben, um deren volles Potenzial auszuschöpfen. Was sich einfach anhört, ist in der Praxis ganz schön schwierig! Diese neue Autonomie schreit förmlich nach Eigenverantwortung, Selbstführung, Eigeninitiative, Mut, Selbstreflexion und so weiter und so fort. Ich sollte also in einem guten und ehrlichen Kontakt mit mir selbst sein. Gleichzeitig ist jedoch das absolute Verständnis eines Kerngedankens die Voraussetzung, um in dieser dynamischen und komplexen Welt der New Work bestehen können: der wahre Star in unserer neuen Arbeitswelt ist das Team! Will ich erfolgreich sein, muss ich verstehen, dass meine wertvollste Ressource mein Team ist. Egal wie gut ich bin, die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Team erfolgreicher sind, als ich allein, liegt bei fast hundert Prozent!

Nun haben wir also im Idealfall eine Gruppe von Menschen, die sich autonom, eigeninitiativ, (selbst-) kritisch, mutig selbst führen und dann kommt der Coach und erzählt ihnen, dass das ja alles schön und gut sei, wenn sie jetzt jedoch wirklich erfolgreich sein wollen, müssen sie es schaffen, sich mit all diesen Eigenschaften in ein Team zu integrieren und fortan mit den Kollegen zusammen zu arbeiten…

Die Magie der neuen Perspektive

Warum Teams für gewöhnlich erfolgreicher sind, lässt sich ganz schnell und einfach mit der Physiologie unserer Wahrnehmung erklären: unsere zauberhafte Blackbox, die wir Gehirn nennen, verarbeitet nur etwa fünf Prozent all der Reize, die durch unsere Sinne eingesammelt werden, so, dass sie in unser Bewusstsein rutschen. Das, was wir als unsere individuelle Wahrheit bezeichnen, sind gerade mal fünf Prozent von dem, was tatsächlich ist. Diese fünf Prozent werden inhaltlich durch unsere Erfahrungen, unser Wertesystem, unsere Erziehung, unseren Präferenzen, etc. bestimmt. Wenn es also darum geht, in einem komplexen und dynamischen Umfeld zu entscheiden, ob es rechts oder doch lieber links herum gehen soll, ist es eine ziemlich gute Idee, sich eine zweite, dritte oder vierte Meinung zu holen. Im besten Fall frage ich sogar Menschen die ganz anders sind, als ich selbst, mit anderen Erfahrungen, einem anderen Hintergrund und einer anderen Meinung. Mit etwas Glück hat deren Gehirn sich ganz andere fünf Prozent der Realität herausgesucht, um sie auf eine bewusste Ebene zu heben.

Toll! Und jetzt haben wir den Salat der X verschiedenen Meinungen… Entscheidungsfindung im Team

In der letzten Woche hatte ich gleich mehrere Workshops, Diskussionen und Coachings, die Teamwork und Teambuilding zum Thema hatten und meine Argumente für mehr Team schienen geradezu entwaffnend! Sobald es jedoch an die praktische Umsetzung ging, habe ich immer wieder gemerkt, dass meine Kollegen wirklich bemüht waren, oft aber keinen bewussten Hebel hatten, die Team Idee in die Praxis zu transferieren. Wie löst man denn nun ein Problem im Team? Wie trifft man eine Entscheidung? Hier gab es zwei Herangehensweisen, die man aus einem anderen Kontext kennt: entweder der Chef entscheidet, oder es gibt eine demokratische Abstimmung… beide Wege scheinen nicht optimal, was meinen Teilnehmern auch irgendwie klar war. In unserer modernen und komplexen Arbeitswelt sind es schon lange nicht mehr die Vorgesetzten, die alles am besten wissen und können. Unternehmen geben Unsummen für ausgezeichnet qualifizierte Experten aus, aber wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen gehen sie zwischen Führungskräften und der Mehrheit unter? Das erscheint mir ausgesprochen ungünstig (und unrentabel)! In meiner alten Welt, der Luftfahrt, die als High Risk Environment gilt, sind derartige Entscheidungsfindungsprozesse lebensgefährlich. Wenn es also um erfolgreiche und vor allem analytische Entscheidungsfindungsprozesse geht, darf man getrost mal schauen, wie Flugzeugbesatzungen zu ihren Entscheidungen kommen. Immerhin hat man hier schon Ende der siebziger Jahre festgestellt, dass der größtmögliche Erfolg in einem dynamischen und komplexen Umfeld daraus resultiert, dass Crews als Teams zusammenarbeiten und die Kollegen die eigenen größtmögliche Ressource darstellen, wenn gerade mal wieder alles im Chaos liegen zu scheint.

Ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der alle zur Verfügung stehenden Perspektiven berücksichtigt, muss her

Was in der Luftfahrt her musste (und was die agile Welt unbedingt noch braucht), war ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der für Teamstrukturen nutzbar ist. Kluge Menschen haben sich FOR-DEC ausgedacht. Hört sich komisch an, ist aber ganz einfach, verblüffend einfach…

FOR-DEC ist ein Akronym, das man aus man aus den Worten “befor decision” entwickelt hat und Einzelpersonen oder eben auch ganze Teams durch einen Entscheidungsfindungsprozess führen soll. Es gilt, sechs Phasen abzuarbeiten:

  1. F steht für Facts: hier geht es darum alle verfügbaren Fakten zu sammeln. Im Flugzeug ist es durchaus möglich das einer der entscheidendsten Fakten nur von der jungen, frisch ausgebildeten Stewardess in der hinteren Bordküche wahrgenommen wird. Komplexität eben. Fakten kann man formidabel im Team sammeln. Was man im Rahmen der Faktensammlung jedoch unbedingt beachten muss ist, Annahmen nicht mit Fakten zu verwechseln. Denkt mal drüber nach!

  2. O steht für Options: Habe ich alle verfügbaren Fakten beisammen, schaue ich mal, welche Optionen es gibt. Auch hierbei darf man das Team befragen. Und Achtung: meistens gibt es mehr als zwei Optionen. Hier können andere Perspektiven ausgesprochen bereichernd sein!

  3. R steht für Risks and Benefits, denn jede Option hat Vor- und Nachteile. Auch an dieser Stelle können Teammitglieder Vor- oder Nachteile sehen, deren ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin.

  4. D steht für Decision, denn jetzt liegen die Karten auf dem Tisch, deshalb muss die Entscheidung her. Wer sie trifft? Der, der sie auch verantwortet. In kleinen Dingen ist das jeder selbst, in seinem kleinen Bereich. In größerem Rahmen ist es traditionell oft der Chef, oder in der Luftfahrt dann der Kapitän. Allerdings wird jede Entscheidung nur so gut sein, wie die Fakten, auf welchen sie basiert. Aus diesem Grund rufe ich dazu auf, nicht über die Entscheidung, die andere getroffen haben, zu meckern, sondern sich selbst lieber mal kritisch zu hinterfragen, ob ich denn auch alle Fakten dazu beigetragen habe, um diese Entscheidung so gut wie möglich werden zu lassen.

  5. E steht schließlich für Execution, da man alle Entscheidungen ja auch irgendwann mal umsetzen muss. Hierbei ist es sinnvoll, Aufgaben klar zu verteilen und möglichst transparent zu machen.

  6. Nach der Umsetzung ist man ja eigentlich fertig. Trotzdem kommt unter Punkt sechs das vielleicht wichtigste des gesamten Prozesses. C steht für Check. Nach der Umsetzung ist es nämlich unglaublich wichtig, zu überprüfen, ob denn meine Entscheidung auch zum gewünschten Resultat geführt hat. Und wenn nicht, dann haben mir wohl Fakten gefehlt, oder vielleicht hat sich die Ausgangssituation verändert (soll passieren, in einem dynamischen Umfeld). Dann geht es einfach wieder zurück zu F und das Spiel geht von vorne los. So kann einem das FOR-DEC Modell sogar die Angst vor vermeintlich falschen Entscheidungen nehmen. Die gibt es nämlich in dynamischen und komplexen Systemen nicht.

So einfach und doch so schwer

Wenn man das so liest, erscheint ein Studium der Raketenwissenschaften nicht unbedingt als Voraussetzung dafür, FOR-DEC zu verstehen und durchzuführen. Für sich ganz allein durchläuft sicher jeder von uns diesen Prozess immer wieder, mal bewusst, mal ganz unbewusst. Das spannende ist, dass man durch FOR-DEC recht einfach und vor allem auch ohne Emotionen und Rechthaberei mehrere Menschen in den Entscheidungsfindungsprozess mit einbeziehen kann. Es geht nicht ums Recht haben, um Erfahrung, Bauchgefühl oder um das beste Durchsetzungsvermögen. Es geht um Fakten, so wie eine gemeinsame Analyse diese Fakten und ganz nebenbei bietet FOR-DEC all jenen, die in Führungsverantwortung sind, die tolle Möglichkeit, alle Ressourcen, die das Team einem zur Verfügung stellt, auch zu nutzen. In der Luftfahrt ist das tatsächlich überlebenswichtig. In meiner neuen Welt kann ich dieses Drohszenario leider nicht nutzen. Erfolg, vor allem aber Misserfolg kann hier einfacher relativiert werden, als in einem High Risk Environment wie der Luftfahrt. Ein Flugzeugabsturz ist etwas Absolutes. Bilanzen und Zahlen sind irgendwie relativ. Aber Fakt ist, dass die Faktoren, die ein Team oder eine ganze Organisation letzten Endes erfolgreich machen, auf menschlicher Ebene immer die gleichen sind. Teammanagement und die tatsächliche Nutzung des Humanvermögens eines Teams oder einer Organisation spielen in einer komplexen und dynamischen Umwelt eine immer entscheidendere Rolle.

Und jetzt weg mit den Würfeln und hin zu mehr Analyse!

Ich bin gespannt, was all jene, die in der letzten Woche irgendwie keine wirklich Alternative zur Top-Down-Entscheidung oder zur Basisdemokratie sahen, sagen werden, wenn ich ihnen FOR-DEC vorstelle! Dieses Würfelspiel der Entscheidungsfindung hat mir einfach zu viel mit Glück zu tun. Deshalb seid auch ihr von Herzen dazu eingeladen, im Rahmen eurer nächsten Entscheidung nicht nur eure eigenen Fakten zu sammeln, sondern auch einmal nachzudenken, ob es noch jemanden gibt, der vielleicht eine andere Perspektive und andere Fakten für euch hat.

Eure Constance

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Würfelt ihr noch

Oder entscheidet ihr schon?

Das Märchen der richtigen Entscheidung

Alea iacta est

Die Würfel sind gefallen, oder viel mehr ist der Würfel gefallen, um Gaius Julius Cäsar korrekt zu zitieren! Die Politik hat entschieden wie es weiter geht: Kleine Läden auf, große bleiben zu, die Schulen so halb auf, Restaurants bleiben zu, Masken sind toll, aber nur freiwillig, außer man wohnt in Jena oder Sachsen und so weiter und so fort. Kaum sind die Entscheidungen veröffentlicht, entbrennt eine rege Diskussion, ob das denn nun so richtig oder falsch sei. Fünf Leute, sieben Meinungen um am Ende ist ohnehin klar, dass die jeweiligen Entscheider eigentlich nur verlieren können. Behält man diesen eher konservativen Kurs bei und wird so dankenswerter Weise kein Arzt in Deutschland vor die Frage gestellt, ob nun Patient A oder B mittels Beatmungsgerät zu retten ist, wird früher oder später die Wirtschaft der Meinung sein, man hätte die finanziellen Verluste geringer halten können, hätte man nicht so zurückhaltend und vorsichtig agiert. In Ländern, die vielleicht aus einer volkswirtschaftlichen Betrachtung heraus einen progressiveren Kurs fahren, werden gerne auch von außen Stimmen laut, man stelle wirtschaftlichen Erfolg über Menschenleben. Es ist wie es ist und es bleibt ein Dilemma und all die sonderbaren und zum Teil nur schwer nachvollziehbaren Kompromisse von Schutzmasken und Parknutzung über Ladenflächen bis hin zur Schulöffnung zeigen, dass man sich dessen bewusst ist.

Macht die Bundesregierung das jetzt richtig, oder ist es falsch? Am Ende ist es immer eine Frage der Perspektive und des Vertrauens. Habt ihr schon einmal absichtlich eine falsche Entscheidung getroffen? Eben! Wir entscheiden immer aus unserer Perspektive heraus, mit den uns zur Verfügung stehenden Fakten, aus unseren Erfahrungen heraus und immer bestmöglich. Im Nachhinein festzustellen, dass eine Entscheidung falsch war, kann passieren, ist wie ich glaube aber auch irgendwie überflüssig, es sei denn ich bin in der Lage noch etwas aktiv zu korrigieren. Ist dieser Moment verstrichen, sollte ich meine Entscheidung konsequent loslassen, denn erstens kann es ja sein, dass die nicht getroffene und vermeintlich richtige Entscheidung im Nachhinein noch viel falscher gewesen wäre, zweitens verschwende ich Energie und Kreativität für etwas, das nicht mehr zu ändern ist und drittens hindert mich der permanente Blick in die Vergangenheit daran, mich weiter zu entwickeln.

Ich denke schon seit Jahren nicht mehr in Kategorien wie richtige und fasche Entscheidungen. Viel mehr geht es mir in meinen Schulungen darum, meinen Teilnehmern ein Tool mit an die Hand zu geben, um situativ bestmöglich und analytisch zu entscheiden. Der ein oder andere hat ja inzwischen mitbekommen, dass ich meine Trainerwurzeln im Human Factors Training der zivilen Luftfahrt habe. In diesem Bereich bin ich auch über ein analytisches Entscheidungsfindungsmodell gestolpert, dass denkbar einfach und auch für alle Bereiche, in denen sich der Mensch so rum treibt, passend ist. Es trägt den kryptischen Namen FOR-DEC und soll uns in erster Linie Struktur und Sicherheit geben, wenn wir das Gefühl haben, es prasselt mal wieder viel zu viel auf uns ein und wir würden uns am liebsten in unser Schneckenhaus zurück ziehen und warten bis das Chaos vorbei ist und jemand anders für uns entschieden hat.

Der Weg zur analytischen Entscheidungsfindung

Wie kann mir FOR-DEC also bei der Entscheidungsfindung helfen? Jeder der sechs Buchstaben steht für einen Schritt im Rahmen meines Entscheidungsprozesses, die nacheinander abzuarbeiten sind. Wir gehen hier mal Schritt für Schritt durch:

  1. Das F steht für “Facts”. Das heißt die Basis meiner Entscheidung sollten Fakten sein, möglichst viele Fakten. Da die Fakten, die mir selbst in den Kopf kommen, immer auch durch meine ganz individuelle Perspektive und Wahrnehmung geprägt sind und ich diese immer auch durch meine Erfahrungen, mein Wissen und meine Sozialisierung bewerte, ist es immer ratsam, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen und weitere Perspektiven mit einzubeziehen. Im Cockpit sind Piloten dafür immer mindestens zu zweit, und auch in der gegenwärtigen Corona-Situation ist unsere Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes gut beraten. Frau Merkel triff ihre Entscheidungen nicht alleine in ihrem stillen Kämmerchen, sondern schart Experten aus allen möglichen Bereichen und weitere führende Politiker um sich, um gemeinsam und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven eine möglichst breite Faktenbasis zusammen zu stellen. Herr Trump macht das anders. Der kann das allein. Aber der trifft ja auch keine falschen Entscheidungen und falls doch, dann nur weil die Chinesen oder die WHO manipuliert haben.

  2. Das O steht für “Options”. Hier wird geschaut, welche Möglichkeiten ich denn überhaupt habe. Hier passiert häufig der Fehler, dass Menschen dieses “Entweder-Oder-Prinzip” so verinnerlicht haben, dass sie, wenn sie zwei Optionen gefunden haben, glauben fertig zu sein. Im Falle von Corona wären das dann Ausgangssperre oder keine Restriktionen. Herzlichen Dank an die großen Entscheider dieser Tage, dass sie sich die Mühe gemacht haben, nach weiteren Optionen zu graben. Und auch euch kann ich nur dazu ermuntern, euch an dieser Stelle ruhig mal etwas mehr Zeit zu nehmen, beruflich wie privat. Der Benefit könnte riesig sein, so riesig, wie die Möglichkeit, dieser Tage spazieren zu gehen und das Wetter draußen zu genießen. Das wäre bei einer Ausgangssperre nicht möglich.

  3. Das R steht für “Risks and Benefits” und an dieser Stelle führt man eine Risikoabwägung für alle zur Verfügung stehenden Optionen durch. Jede Option wird ein Für und ein Wider haben und hier muss man ganz individuell schauen, was wie schwer in der Waagschale liegt. Auch an dieser Stelle nochmals der Aufruf dazu, im Rahmen komplexer Entscheidungen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Ja, am Ende muss einer die Verantwortung übernehmen, das macht Frau Merkel für Deutschland, wie es Herr Trump für die USA tut. Aber ich finde, Frau Merkel wirkt dabei gerade etwas weiser.

  4. Langsam wird es spannend! Das D steht jetzt endlich für “Decision”, also die Entscheidung. Irgendwann muss sie ja mal getroffen werden. Dazu braucht es Mut gepaart mit Rückgrat und Verantwortung. Dazu gleich noch etwas mehr.

  5. Das E steht für “Execution”, also die Durchführung. Hierbei sollte man im Vorfeld festlegen, wer wann was macht. Eine klare Aufgabenteilung und ein klarer Zeitplan sind sehr wichtig für den Erfolg.

  6. Nach Punkt fünf könnte man meinen, man sei fertig. Allerdings ist das C in FOR-DEC der vielleicht wichtigste Punkt. Denn C steht für “Check”. Ich muss selbstverständlich überprüfen, ob meine Maßnahmen auch erfolgreich sind oder waren. Dazu muss ich natürlich auch wissen, anhand welcher Parameter ich Erfolg messen. In Hinblick auf die gegenwärtige Pandemie ist das die Ansteckungskurve. Auch wenn es hierzu unterschiedliche Interpretationsmodelle gibt, sind sich doch am Ende alle einig: Die Kurve muss flacher werden und wenn das nicht passiert, wird es anstrengend. Dann muss ich nämlich wieder zurück zu F und von vorne anfangen. Wenn der Erfolg nicht eintritt, muss mir ein wichtiger Fakt durch die Lappen gegangen sein, oder ich habe eine weitere Option übersehen, oder, oder, oder. Also alles wieder auf Anfang, bis der Erfolg eintritt.

Entscheidungen, die nie getroffen werden

So weit zur Theorie. Um hier auch in der Praxis glänzen zu können, müssen wir uns nochmal die unter Punkt vier aufgeführten Eigenschaften Mut, Rückgrat und Verantwortung etwas näher anschauen. Es gibt durchaus Menschen, die Verantwortung mit Macht verwechseln. Frau Aderne spricht in Neuseeland immer wieder von Verantwortung, Herr Trump spricht von seiner Macht. Ich würde mir wünschen, dass das Assessment für die Führungskräfte unserer Unternehmen etwas erfolgreicher ist, als das für Spitzenpolitiker. Eine weise und gute Auswahl ihrer Entscheidungsträger ist das eine, was Unternehmen tun können, um sich weiterzuentwickeln, sich schnell an neue Voraussetzungen anzupassen und erfolgreich zu sein. Was Unternehmen aber nicht außer Acht lassen dürfen ist, dass Position allein nicht mutig macht. Um mutig sein zu können, brauche ich auf der anderen Seite Sicherheit. Und wer meinen Blog in den letzten Wochen mitverfolgt hat, oder in einem meiner Workshops war, der kennt meine Affinität zur Harvardprofessorin Amy C. Edmondson und ihrer Theorie der Psychological Safety als Grundvoraussetzung für eine sogenannte Lernende Organisation und somit auch für ein erfolgreiches Unternehmen (ja, liebe Chefs, es geht nicht ohne!). Denn es sind nicht die vermeintlich falschen Entscheidungen, die die großen Probleme machen. Es sind die Entscheidungen, die aus Angst oder fehlendem Mut niemals getroffen werden, die uns nachhaltig Probleme bereiten. In der Luftfahrt sind diese sogar potenziell tödlich! Denkt mal darüber nach und fangt an Entscheidungen zu treffen, analytisch, in Ruhe, im Team und bitte ohne die Angst, eure Entscheidung könnte falsch sein. FOR-DEC bringt euch immer wieder an den Anfang zurück!

Schönes Wochenende!

Eure Constance

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Heute schon entschieden?