Entscheidung

Wie Stanislaw Petrow einfach so einen Atomkrieg verhinderte...

Wie? Ihr kennt Stanislaw Petrow nicht? Und das obwohl er anno 1983 quasi im Alleingang einen Atomkrieg verhinderte! Ihr solltet Euch unbedingt fünf Minuten nehmen und mit mir auf Zeitreise gehen. Denn von diesem heimlichen Helden der Geschichte können wir so einiges lernen!

Warum Dynamik und Komplexität nur zu managen sind, wenn alle Akteure Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen

Während wir Coaches, Change Agents und HRler nicht müde werden, zu predigen, dass unsere immer dynamischer und komplexer werdende Welt vor allem eines braucht; Menschen die eigenverantwortlich handeln, Entscheidungen treffen und so unsere (Arbeits-) Welt proaktiv mitgestalten, stellt sich mir manches Mal die Frage, wie lange es wohl dauert, bis wir Menschen so weit sind, dies dann auch vollumfänglich zu tun. Ich träume von lernenden Organisationen, von einer Kultur der psychologischen Sicherheit und an manchen Tagen komme ich mir vor, wie der gute alte Sisyphos: Zwei Schritte vor und drei zurück… Dabei gibt es sie und es gab sie schon immer, diese Menschen, die unauffällig vor sich hinarbeiten und just in diesem Moment, in dem sie wirklich gebraucht werden, reißen sie sich das weiße Shirt oder die weiße Bluse vom Leib und sind für eine kurze Zeit Wonder Women oder Superman, ehe sie sich wieder in die Unauffälligkeit zurückziehen.

Einen solchen Superman möchte ich Euch heute vorstellen. Denn wer glaubt, die Welt hätte während der Kubakrise an der Grenze zum Atomkrieg gestanden, der hat keine Ahnung, was in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983 passiert ist.

Lasst uns gemeinsam auf Zeitreise gehen

Spätsommer 1983: Ich wünschte, ich könnte wirklich von damals erzählen, aber ich war noch im Kindergarten und meine Erinnerung ist halbwegs verschwommen. Mein kleiner Bruder war noch nicht geboren und es war noch vor Tschernobyl. Deshalb bin ich mir sicher, dass ich zu dieser Zeit häufig mit meinem Papa im Wald war, um Steinpilze zu sammeln. Nach Tschernobyl war das ja erstmal nicht mehr möglich. Neben Pilze suchen und Drachen steigen lassen habe ich den Kindergarten wirklich geliebt. Tante Eva war toll! Nach dem Kindergarten war ich oft mit meiner Oma im Garten. In regelmäßigen Abständen donnerten US-Kampfflieger über uns, die so laut waren, dass sie mir jedes Mal Angst machten. Meine Oma beruhigte mich immer und erklärte mir, dass die Amerikaner uns vor den Russen beschützten und wir dankbar sein müssen, dass sie hier sind. Oma war Kriegsflüchtling und hatte leider offensichtlich mehr als nur eine Idee davon, zu was die russische Armee im Zweiten Weltkrieg fähig war. Kindheit im Kalten Krieg! Ich denke dieser Tage immer wieder an meine Oma und an ihre große Angst. -Und daran, was es bedeutet, Flüchtling zu sein.

Vielleicht war ich auch am 25. September mit Oma im Garten oder mit Papa Pilze sammeln. Vielleicht donnerten auch an diesem Tag Kampfflieger über uns und ich zuckte in dem Moment, in dem sie knallend die Schallmauer durchbrachen, zusammen. Ich weiß es nicht. Allerdings weiß ich, dass ich auch an diesem Abend zu Bett ging, mein Kindergebet sprach, in dem ich darum bat, auch am nächsten Morgen wieder vom Herrn Jesus geweckt zu werden und schließlich einschlief. -Wie jeden Abend. Wie groß das Wunder war, dass meine Welt am 26. September noch immer die gleiche war, das wussten weder meine Oma, meine Mama, mein allwissender Papa noch ich selbst. Während wir alle friedlich schliefen, zog sich im Raketenabwehrzentrum in Moskau der diensthabende Offizier Stanislaw Petrow für einen kurzen Moment das Superman-Shirt über und rettete klammheimlich die Welt.

Was war passiert? Um 00:15 Ortszeit meldete ein Alarm den Start einer US-Amerikanischen Interkontinentalrakete. Dem diensthabenden Offizier blieb nur ein geringes Zeitfenster zur Beurteilung der Lage. Petrow bewahrte die Nerven und kam zur Entscheidung, dass es sich um einen Fehlalarm in Folge eines Computerfehlers handelte. Noch während er am Telefon war, um diese Einschätzung weiterzugeben, meldete das System den Start einer zweiten, dritten, vierten und fünften Rakete…

Gemäß der damals geltenden Logik des Kalten Krieges “Wer als erstes schießt, stirbt als zweites!” hatte die Sowjetunion etwa 30 Minuten Zeit, den alles vernichtenden Gegenschlag zu initiieren. Doch Petrow behielt erneut die Nerven und kam erneut zu der Entscheidung, dass es sich um einen Computerfehler handeln müsse. Eine endlose halbe Stunde später wusste schließlich auch Petrow, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Die vernichtende Detonation blieb aus.

Es war in der Tat ein Fehlalarm, hervorgerufen durch eine außergewöhnliche Konstellation von Satellitensystemen und der Sonne direkt über einer Militärbasis in den USA, die von den sowjetischen Abwehrsystemen als Raketenstarts interpretiert wurde.

Nicht auszudenken, wäre Petrow zu einer anderen Einschätzung gekommen, die aus sowjetischer Perspektive durchaus naheliegend gewesen wäre. Nur drei Wochen zuvor wurde ein südkoreanisches Passagierflugzeug über der russischen Insel Sachalin abgeschossen. Eine Vergeltungsmaßnahme? Zusätzlich sollten in naher Zukunft US-Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Der Kalte Krieg war eiskalt. Aber Petrow behielt die Nerven, übernahm Verantwortung und hat die Welt gerettet, als die hochpotente Technik versagte.

Danach zog Petrow das Helden-Shirt wieder aus und wurde unsichtbar. Er beendete seinen Armeedienst und verbrachte seinen Ruhestand in bescheidenen Verhältnissen in seiner Plattenbauwohnung in der russischen Stadt Frjasino, wo er 2017 im Alter von 77 Jahren verstarb. Kein Friedensnobelpreis! Bestenfalls eine Randnotiz der neueren Geschichte. Anlässlich einer Veranstaltung in Baden-Baden im Jahr 2012 wurde er gefragt, ob er ein Held sei. Petrow verneinte das. Er habe einfach nur seinen Job richtig gemacht. Als der Moderator nachhakte und anmerkte, dass Petrow immerhin die Welt vor einem dritten Weltkrieg bewahrt habe, entgegnete Petrow, dass das doch nichts Besonderes gewesen sei.

Danke Stanislaw Petrow, dass Sie ihren Job einfach nur richtig gemacht haben. Sie haben mir meine Kindheit, Jugend und vielleicht sogar mein Leben gerettet. Ich schreibe diesen Blog, weil Sie den Mut hatten, zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Nein, das ist vielleicht nichts Besonderes, aber es ist groß!

Der Mensch als Schlüssel zu Erfolg unserer Systeme

Unabhängig davon, dass Stanislaw Petrow (ich hoffe, ich erwähne diesen Namen so oft, dass er im Kopf bleibt) gefühlt mein Leben ermöglicht hat, damals in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983, bedeutet er auch für mich als Coach und Human Factors Trainer unendlich viel. Für mich ist er der Beweis für alles, was ich tue. Ich glaube daran, dass unsere Zukunft nicht nur trotz, sondern vor allem auch wegen der um sich greifenden Technisierung menschlich ist. Technik kann mit der Dynamik und Komplexität, mit der Unberechenbarkeit unserer Zeit nicht annähernd so kompetent umgehen, wie der Mensch. Selbst mit dem Wissen, dass Menschen Fehler machen und immer machen werden, weiß ich, dass der Mensch alleine der Schlüssel zu Erfolg unserer Systeme ist. Dazu muss er jedoch eigenverantwortlich agieren, Entscheidungen treffen und proaktiv die Dinge in die Hand nehmen. -Seinen Job richtig machen, wie es Petrow ausdrückte. Dass der Mensch selbst unter extremsten Bedingungen dazu in der Lage ist, dass er auch unter größtem Stress kognitiv und analytisch vorgehen kann, hat Stanislaw Petrow vorbildlich, still, leise und bescheiden bewiesen. Was die Welt braucht, um mehr Stanislaw Petrows hervorzubringen? Organisationen und Gesellschaften, die Menschen Raum und Sicherheit geben; Raum sich zu entfalten und die (psychologische) Sicherheit, die es braucht, um angstfrei Verantwortung zu übernehmen. Denn nur so können wir alle unseren Job richtig machen.

Zurück in die Zukunft

Und so klettere ich auch in dieser Woche wieder in meinen DeLorean und reise zurück in die Zukunft, um festzustellen, dass 1983 gefühlt sehr präsent ist. Kalter-Heißer Krieg reloaded? Alleine schon deshalb braucht es unendlich viele Stanislaw Petrows. Es gibt also eine Menge zu tun für Coaches wie mich.

Genießt das Wochenende.

Eure Constance

PS: Sisyphos war übrigens sein Leben lang damit beschäftigt, seinen Stein den Berg hinauf zu rollen, weil er sich bewusst dazu entschieden hat. Er wurde gefragt, ob er lieber sein Leben lang den Stein bergauf rollen wolle, oder den Menschen Frieden und Vernunft beibringen wolle… Er hat sich für den Stein entschieden! -Ich mich für die Menschen! Ich frage mich, ob mein Kollege seine Entscheidung jemals bereut hat.

Sisyphos und ich

Ich bin oben angekommen und habe trotzdem noch einen endlosen Weg vor mir! Sisyphosarbeit! - Und ich liebe sie.

Let's make some noise! Oder schlafende Hunde besser nicht aufwecken? - Entscheidungsfindungsprozesse mit Hintergrundrauschen

Happy New Year…

Darf man sich ja noch wünschen, oder? Ich hoffe ihr seid gut ins neue Jahr gekommen. Ich für meinen Teil bis sehr gespannt, was dieses Jahr 2022 mit sich bringt. Ein paar Ideen habe ich, aber am Ende kommt ja doch immer alles anders, als man denkt. Zumindest der Anfang war für mich recht entspannt, was aber ganz sicher nicht so bleiben wird.

Ich liege gerade mit Kurt, unserem neusten Familienmitglied auf der Couch und die sonst gerne auch mal recht quirlige kleine Französische Bulldogge döst friedlich vor sich hin. Schlafende Hunde soll man nicht aufwecken, schießt mir in den Kopf und ich verhalte mich ganz ruhig, um in Ruhe weiterschreiben zu können.

Schlafende Hunde soll man nicht aufwecken… So oder so ähnlich höre ich es gerne auch mal im Job, wenn ich mich in den Organisationseinheiten, die ich begleite, dazu aufmache, allen Mist, Staub und Dreck, der sich naturgemäß so ansammelt, an die Oberfläche zu spülen. Ist es sinnvoll, hierbei proaktiv oder reaktiv zu sein? Ich komme aus der Luftfahrt und habe mehr als deutlich gelernt, dass eine reaktive Haltung verdammt blutig enden kann. Zwischen den Jahren bin ich über ein Thema gestolpert, das ich ganz sicher proaktiv bei meinen Kunden ansprechen werde. Ebenso proaktive möchte ich meine Gedanken dazu auch mit euch teilen. - Und vielleicht einen schlafenden Hund wecken!

Das Märchen der richtigen Entscheidung

Ich habe schon häufiger über Entscheidungsfindungsprozesse geschrieben, stellen sie doch den Kern unseres Schaltens und Waltens auf Erden dar. Wir wachen morgens auf und treffen bereits die erste Entscheidung: direkt raus aus den Federn oder nochmal 10 Minuten auf Snooze? Schon an dieser Stelle durchlaufen wir alle einen individuellen Prozess mit unterschiedlichen Ergebnissen. Was ist richtig? Was ist falsch? -Beides, wenn es eben passt! Kaffee oder Tee? Frühstück oder gleich los? Und natürlich: was ziehe ich an?

So hangeln wir uns durch den Tag, jeder für sich und doch alle gemeinsam. Was uns sicher eint ist, dass jeder von uns immer bestmöglich entscheiden möchte, bzw. keiner von uns absichtlich eine falsche Entscheidung trifft.

Im Job geht es direkt weiter. Eine Entscheidung jagt die nächste. Besonders spannend wird es, wenn die Entscheidungen, die wir im Job treffen Folgen haben. Natürlich entscheiden wir auch hier nach bestem Wissen und Gewissen und trotzdem jeder von uns ein bisschen anders. Nehmen wir zum Beispiel einen Richter, der sich an Recht und Gesetz hält und seine Urteile natürlich bestmöglich trifft. Eigentlich müssten folglich alle Richter in Fällen mit exakt gleicher Sachlage auch immer gleich entscheiden. Tun sie aber nicht! Natürlich liegt das an der subjektiven Beurteilung der Fakten. So ist der eine Richter milder als der andere. Den einen empört zum Beispiel Betrug ganz besonders, der andere ist genau hier weniger scharf in seinem Urteil. Auf diese Weise entsteht selbst in unserem Rechtssystem eine gewisse Zufälligkeit. Und es gibt noch mehr Umstände die die Zufälligkeit noch viel zufälliger werden lassen. Studien aus den USA belegen, dass sogar Temperaturschwankungen Einfluss auf Gerichtsurteile haben, oder ob die örtliche Football-Mannschaft am Wochenende verloren hat, der Angeklagte Geburtstag hat, oder um den wievielten Fall des Tages es sich handelt. Total unberechenbar, oder?

Diese unberechenbare Abweichung bezeichnet der der Wirtschaftspsychologe Daniel Kahneman in seinem neusten Buch, das er gemeinsam mit den Herren Sibony und Sunstein geschrieben hat, als Noise.

Noise oder Bias

Nun wird der ein oder andere von euch sich völlig zurecht denken: diese Abweichung zur Norm kenne ich schon. Das habe ich bisher Bias genannt. Warum braucht es dafür ein neues Wort? Ganz einfach: weil es sich um zwei unterschiedliche Paar Schuhe handelt. Ich erkläre es kurz.

Wir stellen uns vor, eine gesamte Personalabteilung sei der Meinung, dass Frauen weniger geeignet wären eine Führungsposition einzunehmen! Das ist natürlich nur rein hypothetisch und total konstruiert! Aber stellen wir uns das einfach mal vor. So würde es zu einer einheitlichen Abweichung in der Beurteilung der Eignung von Frauen kommen. Das wäre dann ein unschöner, aber doch sehr berechenbarer Bias.

Stellen wir uns nun vor, dass es in ein und derselben Personalabteilung Kollegen gibt, die Frauen als weniger geeignet für Führungspositionen sehen, andere, die glauben, Frauen, seien generell besser geeignet, und natürlich gibt es auch die eine Hardlinerin, die glaubt es braucht generell mehr Frauen in der Chefetage, Qualifikation erstmal zweitrangig. Auch hier gibt es eine Abweichung von der Norm oder dem Ideal, allerdings eine komplett unberechenbare Abweichung, welche die drei W eisen aus den USA als Noise bezeichnen.

Sowohl Bias als auch Noise führen zu falschen Entscheidungen. Während das eine berechenbar ist, ist das andere total unberechenbar, weil es auf individuellen kognitiven Fehlleistungen beruht.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Diese Frage stellte sich dereinst Paul Watzlawick, als er seine Theorie des radikalen Kontruktivismus beschreibt. Watzlawick legt sehr eindeutig dar, dass wir Menschen uns unsere Wirklichkeit selbst konstruieren, passend zu unseren Erfahrungen, unserem Wertesystem, unseren Vorlieben und so weiter. Hier bringt jeder sein ganz eigenes Päckchen mit, was toll ist! Macht uns das doch ganz einzigartig. Gleichzeitig ruft genau das Noise hervor, da es dazu führt, dass wir ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich einordnen oder beurteilen. Hierzu gab es Studien bei Versicherungen, die belegen, dass unterschiedliche Sachbearbeiter den gleichen Umstand unterschiedlich bewerten. Die Abweichung liegt laut den Erkenntnissen Kahnemans bei über 50 Prozent. Das ist eine Menge! Besonders wenn es wie bei Versicherungen, oder Banken ums Geld geht, ganz zu schweigen, davon, wenn Justitia ins Spiel kommt!

Noise in Organisationen

Wie bei all diesen neuen Erkenntnissen aus den Federn der Wirtschaftspsychologen und Beratern, stellt sich die Gretchen-Frage, was Organisationen nun damit anfangen sollen. Als Coach würde ich mir im ersten Schritt mal anschauen, wie es denn um Noise, dieses Hintergrundrauschen, in der jeweiligen Organisation (-seinheit) bestellt ist. Wie? Ganz einfach! Ich konstruiere einen Sachverhalt, den es zu beurteilen gilt und gebe diesen unterschiedlichen Mitarbeitern und schaue mir am wie sie entscheiden, bzw. wie groß die Streuung der Ergebnisse ist.

Im zweiten Schritt geht es darum, die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Thema Noise zu lenken. Hier muss ich quasi den schlafenden Hund der kognitiven Diversität innerhalb meiner Organisation wecken!

Und dann? Dann ist es erstmal wichtig zu betonen, dass diese Unterschiedlichkeit keineswegs schlecht ist. Im Gegenteil! Es geht nämlich aus meiner Sicht nicht darum, ein Noise-freies System zu konstruieren. Das wäre das Ende von Innovation und Kreativität. Auch darf es keineswegs passieren, dass individuelle Ermessensspielräume genommen werden. In einem dynamischen und komplexen Umfeld würde dies das relative sichere Ende der Organisation bedeuten.

Also, was tun? Selbstverständlich das, was wir VUKA-Priester und Coaches Tag ein Tag aus von unserer hohen Kanzel aus predigen: analytisch das Team als Ressource auch im Rahmen von Entscheidungsfindungsprozessen nutzen und Transparenz schaffen. Aber gerne mal eins nach dem anderen:

  1. Zunächst muss jeder einzelne Mitarbeiter verstehen, dass es bei Entscheidungen nicht um den Ausdruck von Persönlichkeit, sondern von Genauigkeit geht. Dazu ist es hilfreich, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, sich hinsichtlich ihrer ganz persönlichen Einflussfaktoren zu reflektieren.

  2. Während des Prozesses der Entscheidungsfindung ist es sinnvoll, eine Art Metaebene einzunehmen, von der aus man seinen individuellen Fall nicht als isolierten Einzelfall sieht, sondern versucht sich im Rahmen der Entscheidung auf eine Referenz ähnlich gelagerter Problemfälle zu beziehen.

  3. Auch ist es immer hilfreich, sich Beratung oder Unterstützung zu holen. Vielleicht lässt sich die eine, große Entscheidung in mehrere Teilentscheidungen zerlegen, die von unterschiedlichen Menschen getroffen werden können. Laut Kahneman und Konsorten ein ausgesprochen zielführendes Vorgehen.

  4. Warum nicht das Team nutzen, um andere Perspektiven einzubeziehen?! Aber bitte so, dass erst jeder für sich eine bestmögliche Entscheidung trifft und dann darüber gesprochen wird. Wird erst diskutiert, ist es den einzelnen Teammitgliedern nicht mehr möglich, ihre Entscheidung ganz unabhängig zu treffen. Eine Diskussion im Vorfeld würde diese verfälschen. Am dieser Stell muss ich gestehen, dass ich nicht zu hundert Prozent mit Kahneman übereinstimmen kann. Ich weiß natürlich was er meint. Diese Art der Voreingenommenheit möglichst zu verhindern um ein halbwegs objektives Bild der Situation zu bekommen, sollte Thema sein. Allerdings merke ich immer wieder an mir selbst, wie wichtig diese Diskussionen für meinen eigenen Horizont sind. Allerdings sollten diese faktenbasierend und nicht basierend auf Meinungen stattfinden.

  5. Ferner ist es laut Kahneman ausgesprochen hilfreich, Menschen nicht mit zu vielen Informationen zu überfrachten. Weniger ist mehr und hilft den Fokus zu halten. -Nicht einfach, betrachtet man den teilweise inflationären Informationsfluss in Organisationen.

  6. Abschließend schreibt Kahneman, dass Intuition durchaus am Ende des Prozesses eine Rolle spielen darf, da Entscheider das belohnende Gefühl brauchen, ihrer Intuition vertrauen zu können. Niemals darf Intuition jedoch am Anfang des Prozesses stehen. Stattdessen ist es wichtig, analytisch und faktenbasierend in den Prozess einzusteigen. Der intuitive Teil darf dann nach der analytischen Betrachtung aller Dimensionen mit einem gewissen zeitlichen Abstand folgen.

Natürlich kann man auch mit Hilfe von Algorithmen versuchen Noise in einer Organisation zu reduzieren, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Algorithmen dann rassistisch, sexistisch oder anderweitig diskriminierend sind. Das erscheint mir persönlich wenig hilfreich! Also eben doch die schlafenden Hunde wecken und über Noise reden, Menschen, Teams, Organisationen dazu anregen sich selbst hinsichtlich ihrer Entscheidungsfindungsprozesse zu reflektieren und sich darüber bewusst sein, dass es diese eine objektiv richtige Entscheidung zumeist nicht gibt.

Ich wünsche euch einen wunderschönen Sonntag. Ich werde wohl in aller Stille mit dem Hund in den Schnee gehen, der schon seit Freitag ganz lautlos fällt.

Eure Constance

Schlafenden Hunde sollte man nicht aufwecken!

Trotzdem ist es manchmal sinvoll, anständig Krach zu machen…

Das Märchen der richtigen Entscheidung

Alea iacta est

Die Würfel sind gefallen, oder viel mehr ist der Würfel gefallen, um Gaius Julius Cäsar korrekt zu zitieren! Die Politik hat entschieden wie es weiter geht: Kleine Läden auf, große bleiben zu, die Schulen so halb auf, Restaurants bleiben zu, Masken sind toll, aber nur freiwillig, außer man wohnt in Jena oder Sachsen und so weiter und so fort. Kaum sind die Entscheidungen veröffentlicht, entbrennt eine rege Diskussion, ob das denn nun so richtig oder falsch sei. Fünf Leute, sieben Meinungen um am Ende ist ohnehin klar, dass die jeweiligen Entscheider eigentlich nur verlieren können. Behält man diesen eher konservativen Kurs bei und wird so dankenswerter Weise kein Arzt in Deutschland vor die Frage gestellt, ob nun Patient A oder B mittels Beatmungsgerät zu retten ist, wird früher oder später die Wirtschaft der Meinung sein, man hätte die finanziellen Verluste geringer halten können, hätte man nicht so zurückhaltend und vorsichtig agiert. In Ländern, die vielleicht aus einer volkswirtschaftlichen Betrachtung heraus einen progressiveren Kurs fahren, werden gerne auch von außen Stimmen laut, man stelle wirtschaftlichen Erfolg über Menschenleben. Es ist wie es ist und es bleibt ein Dilemma und all die sonderbaren und zum Teil nur schwer nachvollziehbaren Kompromisse von Schutzmasken und Parknutzung über Ladenflächen bis hin zur Schulöffnung zeigen, dass man sich dessen bewusst ist.

Macht die Bundesregierung das jetzt richtig, oder ist es falsch? Am Ende ist es immer eine Frage der Perspektive und des Vertrauens. Habt ihr schon einmal absichtlich eine falsche Entscheidung getroffen? Eben! Wir entscheiden immer aus unserer Perspektive heraus, mit den uns zur Verfügung stehenden Fakten, aus unseren Erfahrungen heraus und immer bestmöglich. Im Nachhinein festzustellen, dass eine Entscheidung falsch war, kann passieren, ist wie ich glaube aber auch irgendwie überflüssig, es sei denn ich bin in der Lage noch etwas aktiv zu korrigieren. Ist dieser Moment verstrichen, sollte ich meine Entscheidung konsequent loslassen, denn erstens kann es ja sein, dass die nicht getroffene und vermeintlich richtige Entscheidung im Nachhinein noch viel falscher gewesen wäre, zweitens verschwende ich Energie und Kreativität für etwas, das nicht mehr zu ändern ist und drittens hindert mich der permanente Blick in die Vergangenheit daran, mich weiter zu entwickeln.

Ich denke schon seit Jahren nicht mehr in Kategorien wie richtige und fasche Entscheidungen. Viel mehr geht es mir in meinen Schulungen darum, meinen Teilnehmern ein Tool mit an die Hand zu geben, um situativ bestmöglich und analytisch zu entscheiden. Der ein oder andere hat ja inzwischen mitbekommen, dass ich meine Trainerwurzeln im Human Factors Training der zivilen Luftfahrt habe. In diesem Bereich bin ich auch über ein analytisches Entscheidungsfindungsmodell gestolpert, dass denkbar einfach und auch für alle Bereiche, in denen sich der Mensch so rum treibt, passend ist. Es trägt den kryptischen Namen FOR-DEC und soll uns in erster Linie Struktur und Sicherheit geben, wenn wir das Gefühl haben, es prasselt mal wieder viel zu viel auf uns ein und wir würden uns am liebsten in unser Schneckenhaus zurück ziehen und warten bis das Chaos vorbei ist und jemand anders für uns entschieden hat.

Der Weg zur analytischen Entscheidungsfindung

Wie kann mir FOR-DEC also bei der Entscheidungsfindung helfen? Jeder der sechs Buchstaben steht für einen Schritt im Rahmen meines Entscheidungsprozesses, die nacheinander abzuarbeiten sind. Wir gehen hier mal Schritt für Schritt durch:

  1. Das F steht für “Facts”. Das heißt die Basis meiner Entscheidung sollten Fakten sein, möglichst viele Fakten. Da die Fakten, die mir selbst in den Kopf kommen, immer auch durch meine ganz individuelle Perspektive und Wahrnehmung geprägt sind und ich diese immer auch durch meine Erfahrungen, mein Wissen und meine Sozialisierung bewerte, ist es immer ratsam, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen und weitere Perspektiven mit einzubeziehen. Im Cockpit sind Piloten dafür immer mindestens zu zweit, und auch in der gegenwärtigen Corona-Situation ist unsere Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes gut beraten. Frau Merkel triff ihre Entscheidungen nicht alleine in ihrem stillen Kämmerchen, sondern schart Experten aus allen möglichen Bereichen und weitere führende Politiker um sich, um gemeinsam und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven eine möglichst breite Faktenbasis zusammen zu stellen. Herr Trump macht das anders. Der kann das allein. Aber der trifft ja auch keine falschen Entscheidungen und falls doch, dann nur weil die Chinesen oder die WHO manipuliert haben.

  2. Das O steht für “Options”. Hier wird geschaut, welche Möglichkeiten ich denn überhaupt habe. Hier passiert häufig der Fehler, dass Menschen dieses “Entweder-Oder-Prinzip” so verinnerlicht haben, dass sie, wenn sie zwei Optionen gefunden haben, glauben fertig zu sein. Im Falle von Corona wären das dann Ausgangssperre oder keine Restriktionen. Herzlichen Dank an die großen Entscheider dieser Tage, dass sie sich die Mühe gemacht haben, nach weiteren Optionen zu graben. Und auch euch kann ich nur dazu ermuntern, euch an dieser Stelle ruhig mal etwas mehr Zeit zu nehmen, beruflich wie privat. Der Benefit könnte riesig sein, so riesig, wie die Möglichkeit, dieser Tage spazieren zu gehen und das Wetter draußen zu genießen. Das wäre bei einer Ausgangssperre nicht möglich.

  3. Das R steht für “Risks and Benefits” und an dieser Stelle führt man eine Risikoabwägung für alle zur Verfügung stehenden Optionen durch. Jede Option wird ein Für und ein Wider haben und hier muss man ganz individuell schauen, was wie schwer in der Waagschale liegt. Auch an dieser Stelle nochmals der Aufruf dazu, im Rahmen komplexer Entscheidungen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Ja, am Ende muss einer die Verantwortung übernehmen, das macht Frau Merkel für Deutschland, wie es Herr Trump für die USA tut. Aber ich finde, Frau Merkel wirkt dabei gerade etwas weiser.

  4. Langsam wird es spannend! Das D steht jetzt endlich für “Decision”, also die Entscheidung. Irgendwann muss sie ja mal getroffen werden. Dazu braucht es Mut gepaart mit Rückgrat und Verantwortung. Dazu gleich noch etwas mehr.

  5. Das E steht für “Execution”, also die Durchführung. Hierbei sollte man im Vorfeld festlegen, wer wann was macht. Eine klare Aufgabenteilung und ein klarer Zeitplan sind sehr wichtig für den Erfolg.

  6. Nach Punkt fünf könnte man meinen, man sei fertig. Allerdings ist das C in FOR-DEC der vielleicht wichtigste Punkt. Denn C steht für “Check”. Ich muss selbstverständlich überprüfen, ob meine Maßnahmen auch erfolgreich sind oder waren. Dazu muss ich natürlich auch wissen, anhand welcher Parameter ich Erfolg messen. In Hinblick auf die gegenwärtige Pandemie ist das die Ansteckungskurve. Auch wenn es hierzu unterschiedliche Interpretationsmodelle gibt, sind sich doch am Ende alle einig: Die Kurve muss flacher werden und wenn das nicht passiert, wird es anstrengend. Dann muss ich nämlich wieder zurück zu F und von vorne anfangen. Wenn der Erfolg nicht eintritt, muss mir ein wichtiger Fakt durch die Lappen gegangen sein, oder ich habe eine weitere Option übersehen, oder, oder, oder. Also alles wieder auf Anfang, bis der Erfolg eintritt.

Entscheidungen, die nie getroffen werden

So weit zur Theorie. Um hier auch in der Praxis glänzen zu können, müssen wir uns nochmal die unter Punkt vier aufgeführten Eigenschaften Mut, Rückgrat und Verantwortung etwas näher anschauen. Es gibt durchaus Menschen, die Verantwortung mit Macht verwechseln. Frau Aderne spricht in Neuseeland immer wieder von Verantwortung, Herr Trump spricht von seiner Macht. Ich würde mir wünschen, dass das Assessment für die Führungskräfte unserer Unternehmen etwas erfolgreicher ist, als das für Spitzenpolitiker. Eine weise und gute Auswahl ihrer Entscheidungsträger ist das eine, was Unternehmen tun können, um sich weiterzuentwickeln, sich schnell an neue Voraussetzungen anzupassen und erfolgreich zu sein. Was Unternehmen aber nicht außer Acht lassen dürfen ist, dass Position allein nicht mutig macht. Um mutig sein zu können, brauche ich auf der anderen Seite Sicherheit. Und wer meinen Blog in den letzten Wochen mitverfolgt hat, oder in einem meiner Workshops war, der kennt meine Affinität zur Harvardprofessorin Amy C. Edmondson und ihrer Theorie der Psychological Safety als Grundvoraussetzung für eine sogenannte Lernende Organisation und somit auch für ein erfolgreiches Unternehmen (ja, liebe Chefs, es geht nicht ohne!). Denn es sind nicht die vermeintlich falschen Entscheidungen, die die großen Probleme machen. Es sind die Entscheidungen, die aus Angst oder fehlendem Mut niemals getroffen werden, die uns nachhaltig Probleme bereiten. In der Luftfahrt sind diese sogar potenziell tödlich! Denkt mal darüber nach und fangt an Entscheidungen zu treffen, analytisch, in Ruhe, im Team und bitte ohne die Angst, eure Entscheidung könnte falsch sein. FOR-DEC bringt euch immer wieder an den Anfang zurück!

Schönes Wochenende!

Eure Constance

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Heute schon entschieden?